Die Phase nach der globalen Finanzkrise (2008) ist gekennzeichnet durch historisch niedrige Geldmarktzinsen und Anleiherenditen. Die Geldpolitiken der Zentralbanken waren extrem expansiv, um zu verhindern, dass die Weltwirtschaft in eine globale Rezession fällt und dort möglicherweise verharren könnte. Damit verbunden war, dass die Vermögenspreise für Risiko behaftete Assets sich positiv entwickeln konnten. In den USA hat seit 2015 (?) ein Umkehrprozess - zurück zur Normalität - eingesetzt: Die Leitzinsen steigen und die Federal Reserve ist dabei, die zuvor durch den Kauf von Risikoassets aufgeblähte Zentralbankbilanz Schritt für Schritt wieder zu reduzieren. Andere Regionen werden folgen mit möglichweise erheblichen Auswirkungen auf die Preise von Anleihen, Immobilien und Aktien.
Für die Asset Allocation bzw. Risikosteuerung eines gut diversifizierten Portfolios spielt die Duration der Assets (und des Portfolios) eine wesentliche Rolle. Reduziert man die Duration für Anleihen, sinkt der Vermögensverlust, wenn die Anleiherendite für die Restlaufzeit steigt.
Ähnlich wie die Duration für Anleihen gibt es auch eine Duration für Aktien: Wenn die von den Marktteilnehmern erwartete (geforderte) Rendite für Aktien steigt, müssen ceteris paribus die Aktienkurse fallen, um die geforderte Rendite in der Zukunft erwirtschaften zu können. Die Aktienduration ist dabei ein Maß dafür, um wieviel Prozent die Aktienkurse fallen (steigen), wenn die geforderte Aktienrendite um einen Prozentpunkt steigt (fällt). Ein Portfolio mit einer niedrigeren Aktienduration fällt weniger stark, wenn die geforderte Aktienrendite um einen Prozentpunkt steigt, als ein Portfolio mit einer höheren Aktienduration. Anders als die Anleiherendite lässt sich die geforderte Aktienrendite nicht direkt am Markt beobachten, denn sie setzt sich zusammen aus der Anleiherendite plus der nicht beobachtbaren Risikoprämie für Aktien. Auch deshalb kann die Duration für Aktien nicht unmittelbar aus beobachtbaren Marktpreisen und Restlaufzeiten wie bei Anleihen errechnet werden, da die zukünftigen Dividenden auf der Zeitstrecke unsicher sind und die "Restlaufzeit" bei Aktien unbestimmt ist.
Die Bestimmung der Aktienduration verlangt deshalb ein Bewertungsmodell für Aktien; zum Beispiel ein Dividend Discount Model. In dieses gehen die erwarteten Dividenden ein und auf Basis der aktuellen Aktienkurse resultiert die geforderte Aktienrendite. Zieht man von ihr die aktuelle Anleiherendite ab, bleibt die aktuelle Risikoprämie für Aktien. Mit diesen Informationen lässt sich dann die aktuelle Duration für Aktien errechnen.
Die so errechnete (modified) Duration liegt für den S&P500 seit 1990 im Durchschnitt bei 40, für US-Staatsanleihen dagegen bei 8. Dies bedeutet, wenn die geforderte Aktienrendite (Anleiherendite plus Risikoprämie) um einen Prozentpunkt steigt, fallen die Aktienkurse ceteris paribus um 40%! In der Realität sind die Ausschläge weniger markant, da es praktisch immer mehrere sich überlagernde Effekte gibt. Doch das Rechenbeispiel macht deutlich, wie stark die Aktienduration die Kursausschläge von Aktienportfolien beeinflussen kann und wie wichtig es deshalb ist, sie - insbesondere in Zeiten steigender Zinsen - zu managen.
Traditionelle Analysen zur Aktienmarkbewertung kommen meistens zu dem Ergebnis, dass aktuell im Oktober 2018 die Aktienmärkte und insbesondere der S&P500 deutlich überbewertet sind. Aktuell im Oktober 2018 ist die geforderte Risikoprämie für den S&P500 bei circa 3,5% und liegt damit sogar leicht über dem Durchschnitt seit 1990. Wenn nun die bei steigender Anleiherendite geforderte Risikoprämie tendenziell fällt, bleibt die Aktienrendite bei gut 6% und der Markt somit stabil. Ökonomisch steht dahinter das Szenario der Normalisierung: Die Fed kann die Zinsen anheben, weil die Wirtschaft in normale Fahrwasser zurückfindet und sie nicht mehr in dem Maße auf die expansive Geldpolitik angewiesen ist. Befürchten die Marktteilnehmer dagegen, dass die steigenden Leitzinsen - oder andere Einflussfaktoren - die Wirtschaft (deutlich) abkühlt, kann der erwartete Dividendenstrom niedriger ausfallen oder später eintreten mit der Folge, dass die geforderte Risikoprämie nicht fällt, sondern möglicherweise sogar zunimmt. Im Ergebnis steigt die geforderte Aktienrendite, was die Aktienkurse fallen lässt.
Um mit diesem Risikoszenario umgehen zu können, bietet sich ein Aktienportfolio mit relativ niedriger Aktienduration an! Damit behält der Investor den Renditevorteil gegenüber Anleihen, reduziert jedoch die Anfälligkeit gegenüber steigenden Anleiherenditen (und auch steigenden Risikoprämien).
Eine niedrigere Aktienduration wird dadurch erreicht, dass das zugrundeliegende Aktienportfolio so strukturiert wird, dass es überwiegend in Aktien mit relativ niedriger Aktienduration angelegt wird. Dies sind Aktien, bei denen der erwartete Dividendenstrom eher in naher als in ferner Zukunft liegt (Sektoren wie Energie, Telekommunikation, Banken und etc.).
Dieser Ansatz zur Zusammensetzung des Aktienportfolios ist kein traditionelles aktives Stock Picking. Es ist ein Verfahren, um sich gegen mögliche steigende Eigenkapitalkosten (Cost of Equity) ausgelöst durch steigende Fremdkapitalkosten (steigende Anleiherenditen) zu schützen. Außerdem sind Aktien mit niedriger Duration tendenziell niedriger bewertet, bieten also relative attraktive Renditen auch wenn die Zinsen sich nicht wie befürchtet verändern. Somit bietet ein Subaktienportfolio mit niedriger Aktienduration die Möglichkeit, die eigene Aktiendiversifikation zu verbessern - also zu den bekannten Risikofaktoren wie Markt, Value, Growth, Momentum etc. die Komponente niedrige Aktienduration hinzuzufügen.
Zusammengefasst lässt sich sagen, ein Subportfolio Aktien mit niedriger Duration schützt das Gesamtportfolio vor (unerwarteten) Zinssteigerungen oder anderen plötzlich auftretenden Kursrisiken, ohne durch Fehler anfälliges Market Timing das Gesamtengagement in Aktien reduzieren zu müssen.